Erschienen am: 25.04.2013
Zeitung: Ostsee-Zeitung
Redakteur: Petra Hase
Und plötzlich ist nichts mehr wie es war
BDH-Klinik behandelt jedes Jahr 130 neue Fälle von Querschnittlähmung. Die Nachsorge erfolgt lebenslang.
Greifswald - Alf Möser hat seinen Humor nicht verloren. „Wo soll ich mich hinstellen“, fragt er den Fotografen Peter Binder – in der unabänderlichen Realität eines Rollstuhlfahrers.
Sein letztes Aufwärmtraining 1990 wird der einstige Fußballspieler nicht vergessen: Rücken an Rücken mit einem Sportfreund hakte er sich mit den Armen unter. Abwechselnd hoben sich die beiden jungen Männer hoch. Doch der andere konnte ihn nicht halten. Möser stürzte schwer. „Es gab einen Knacks. Meine Wirbelsäule war gebrochen, das Rückenmark beschädigt“, erinnert sich der heute 42-Jährige noch sehr genau. Die furchtbare Diagnose: Querschnittlähmung ab Hals abwärts.
Seinen Job als Elektrosignalmechaniker bei der Bahn konnte der Mann aus Lalendorf nahe Güstrow vergessen. Den Fußball auch. Doch nach Klinikaufenthalten und der einjährigen Rehabilitation im Hamburger Querschnittgelähmtenzentrum wusste Alf Möser, dass das Leben noch einiges für ihn bereithält. Seine Eltern unternahmen alles, um ihn das Wohnen daheim zu erleichtern. Ein barrierefreier Anbau verbesserte die Situation zu Hause. Und schließlich entdeckte er auch wieder einen Sport für sich: „Ich spiele Elektro-Rollstuhlhockey – kurz E-Hockey. Wir sind 15 Aktive in MV, haben sogar die Lizenz für Bundesligaspiele“, erzählt Möser und erwähnt: „Außerdem bin ich Fachübungsleiter für Rehasport.“
Eine trotz aller Schwierigkeiten erstaunliche Entwicklung, die sich Professor Thomas Platz (50) für viele Patienten wünschen würde. Der Ärztliche Direktor der BDH-Klinik Greifswald, die Menschen wie Möser behandelt, zählt in seinem Haus jedes Jahr etwa 130 neue Fälle von Querschnittlähmung. Vor 15 Jahren, als das Zentrum gegründet wurde, „verzeichneten wir etwa bei der Hälfte einen Unfall als Ursache“, sagt der Chefarzt. Heute sei das anders: Bei immer mehr Patienten verursache eine andere Erkrankung eine Querschnittlähmung. Dazu zählen beispielsweise Tumoren, Multiple Sklerose oder andere entzündliche Erkrankungen sowie degenerative Veränderungen der Wirbelsäule bei alten Menschen. Speziell diese Personengruppe gehöre immer häufiger zu den Patienten. Die Ziele der Rehabilitation indes seien andere als bei jungen Verunfallten. „Da geht es dann nicht mehr darum, dass sie vielleicht eines Tages Rollstuhlhockey spielen oder schwimmen können“, sagt Platz, „sondern einfach wieder zu Hause klarkommen.“
Für die allermeisten ein sehr langer Weg, der sie mehrfach in die Reha-Klinik führt. Deshalb kommen zu den genannten Akutfällen auch jährlich etwa 350 Patienten, die seit längerer Zeit im Rollstuhl sitzen und mit Komplikationen kämpfen. „Das sind zum Beispiel Probleme mit der Harnblase, Hautgeschwüre, Nervenschmerzen oder die Spastik“, verdeutlicht der Neurologe. Nicht zuletzt würde das Querschnittgelähmtenzentrum von MV jedes Jahr um die 350 Menschen behandeln, die die lebenslange Nachsorge erfahren: Ein jährlicher, zumeist zweitägiger Check, der diese Woche auch Alf Möser nach Greifswald führt. Wie Dr. Jörn Bremer, Leitender Oberarzt des Zentrums sowie Facharzt für Urologie, erklärte, werden dabei Therapien überprüft, gegebenenfalls verändert und vorhandene Hilfsmittel auf ihre Funktionsweise kontrolliert.
Bei all dem kann die BDH-Klinik in Greifswald nicht nur auf den reichen Erfahrungsschatz ihrer Mitarbeiter bauen. „Da wir im Verbund mit allen Querschnittgelähmten-Zentren von Deutschland, Österreich und der Schweiz arbeiten, befinden wir uns auch immer auf dem neuesten Stand der Medizin und Rehabilition“, sagt Chefarzt Thomas Platz. Heißt also: Nicht jede Klinik muss sich neue Erkenntnisse selbst erarbeiten. Stattdessen tauschen Neurologen, Urologen, Ergo- und Physiotherapeuten sowie Vertreter anderer Fachrichtungen ihr Wissen in bundesweit tätigen Arbeitskreisen aus.
Auch Symposien, wie das am vorigen Wochenende in der Greifswalder BDH-Klinik, tragen zur engen Vernetzung von Ärzten, Therapeuten und Pflegekräften bei. Neben den über 20 Referenten zählte Professor Platz um die 150 Gäste. Die Themen der zwei Tage waren vielfältig: Angefangen von neuen Behandlungs- und Therapieoptionen bei Querschnittlähmungen über ein spezifisches Mobilitätstraining bis hin zur Frage, wie der Kinderwunsch Betroffener erfüllt werden kann. Vieles sei möglich, deshalb sei es für Akutpatienten wichtig, so Platz, eine Vision im Blick zu haben. So wie einst Alf Möser.
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