Erschienen am: 22.03.2014
Zeitung: Neues Deutschland
Redakteur: Ditte Clemens
Das Unmögliche versuchen
Alf Möser kämpft, denn gejammert wird nicht
Hermann Hesse wäre ein Fan von Alf Möser gewesen, denn er hat einen Rat des Dichters befolgt und tatsächlich Unmögliches versucht, damit Mögliches entsteht.
Mit einem Mundstab bedient Alf Möser seinen Computer und sein Funkgerät und mit seinem Kopf den Joystick seines Rollstuhls beim Hockeyspiel. Seit einem Sportunfall im Oktober 1990 ist der 43-Jährige vom Hals an gelähmt.
»Hab Geduld. Alle Dinge sind schwierig, bevor sie leicht werden«, heißt es in einem Sprichwort. Alf Möser muss in den letzten Jahren unendlich viel Geduld aufgebracht haben. Doch diese Fähigkeit, die im Altertum als Langmut bezeichnet wurde, musste er nach dem Unfall auch erst erwerben. Er war ja erst 20 Jahre alt, als sich sein Leben von einem auf den anderen Tag änderte. Die Diagnose war für ihn, die Eltern und seinen Bruder ein Schock. Aber die Lebenshaltung in dieser Familie ist zum Glück optimistisch - es gibt keine Alternative dazu, wenn man überleben will. Im Hause Möser drückt man das in typisch norddeutscher Verknappung aus: Gejammert wird nicht.
Fast ein Jahr verbrachte Alf Möser in einer Rehaklinik in Hamburg Boberg, dann kehrte er in sein Elternhaus nach Lalendorf zurück. Ein Dorf, das an den Westausläufern der mecklenburgischen Schweiz liegt und zum Landkreis Rostock gehört. Mösers wohnen in einer Straße, die Waldeck heißt. Der Name trügt nicht. »Im Frühjahr überbieten sich hier die Vögel gegenseitig mit ihrem Gesang«, erzählt Alf Möser. Er führt mich durch seine rollstuhlgerechte Wohnung in einem Anbau hinter dem Haus der Eltern. Alf Möser wäre ohne Betreuung und Pflege nicht lebensfähig. Er muss gewaschen, mit Essen versorgt und gebettet werden »Wenn ich nachts im Bett liege, bin ich wie ein Maikäfer auf dem Rücken«, sagt er.
Die Türen in seiner Wohnung öffnen sich automatisch per Fernbedienung, aber die Türen zur Welt wären ihm verschlossen geblieben, wenn er nach seinem Unfall resigniert hätte. Statt zu sagen, nichts geht mehr, überlegte er, was für ihn noch geht. Seine Eltern unterstützen ihn dabei enorm. Er nahm wieder Dinge in Angriff, die sein Leben einmal bereichert hatten. Als Schüler war er Mitglied in der Arbeitsgemeinschaft Amateurfunk gewesen. Nun besann er sich wieder auf dieses Hobby. Bereits drei Jahre nach seinem schweren Unfall wurde er Mitglied im CB Funkklub Concordia in der Kreisstadt Güstrow. 2004 wechselte er zum Amateurfunk.
Alf Möser steckt tief in der Materie des Funkens. Durch die vielen von ihm verwendeten Abkürzungen verstehe ich am Ende überhaupt nichts mehr. Was Einstein konnte, kann ich von ihm nicht erwarten. Einstein konnte die drahtlose Telegrafie erklären, ohne einen einzigen Fachausdruck zu benutzen. Er riet, sich einen Dackel vorzustellen, der von New York bis London reicht. Zwickt man den Hund in New York in den Schwanz, dann jault er in London. »Und genauso«, sagte Einstein, »ist die drahtlose Telegrafie, nur ohne Dackel.« Aber weil Alf Möser in Geduld trainiert ist, wird nach vielen Nachfragen sein Weg zum Funkamateur für mich fassbar. Der junge Mann begann also 1993 mit CB Funk, dem so genannten Jedermannsfunk. 2004 erhielt er die Chance, Funkamateur zu werden. Ein Jahr später legte er die Prüfung in der Klasse E ab und erwarb damit die Berechtigung zum Sendebetrieb auf einigen Amateurfunkfrequenzbändern. Für die Prüfung in der Klasse A, die ein Senden auf allen zugelassenen Frequenzbändern ermöglichte, musste er noch mehr pauken. Dabei unterstütze ihn seine Mutter, eine Mathematik- und Physiklehrerin. Zwei Jahre sparte er auf ein gutes Funkgerät. Den Bau der Antennenanlage bewerkstelligten Freunde. Alfs Vater hatte ebenfalls tüchtig geholfen. Lange hat er mit seinem Sohn getüftelt, damit der Mundstab die Drehknöpfe des Funkgerätes zu fassen bekam und nicht ständig abrutschte. Plastikringe mit Zacken brachten dann die Lösung. Uneigennützige Hilfe von so vielen Menschen zu bekommen, machte ihn glücklich. Glück sind für ihn auch Begebenheiten, die nur jemand zu schätzen weiß, der im Rollstuhl sitzt. »Der Ausbildungsraum befand sich in der untersten Etage und die Türen waren für meinen Rolli breit genug«, erzählt er.
Der Amateurfunk dient nicht nur seiner eigenen technischen Weiterbildung, sondern ist auch eine gute Möglichkeit, sich mit Menschen aus verschiedenen Ländern auszutauschen. Und außerdem kann er sich als Funkamateur in Not- und Katastrophenfällen unterstützend einbringen. Bisher hatte Alf Möser 6375 Kontakte zu Funkamateuren aus 206 Ländern. »Wie muss man sich die Kontakte vorstellen?«, frage ich. »So wie im Lied von Jonny Hill ›Ruf Teddybär eins-vier‹ geht es bei den Funkamateuren natürlich nicht zu«, erklärt er, »bei einer seltenen Station tauscht man schnell die benötigten Daten aus, weil andere diese Verbindung auch haben möchten.«
Was einem wie Alf Möser nur recht ist, denn er ist ein Mecklenburger, wie er im Buche steht. Er macht ungern großes Gedöns. Die Funkverbindungen werden mit QSL-Karten bestätigt. Karten, die Alf Möser verschickt, unterschreibt er zuvor mit seinem Mundstab, und er ist froh, dass sein Vorname nur drei Buchstaben hat. Begehrt sind solche Karten aus Ländern, in denen es nur wenige Funkamateure gibt. Für Funkkontakte in eine bestimmte Anzahl von Gebieten werden Diplome ausgestellt. Und Alf Möser wurde zu einem Diplomjäger. 50 kann er aufweisen.
Aber er funkt nicht nur von zu Hause. Als Funkamateur war er jetzt auch in einigen Naturschutzgebieten für das Deutsche Flora & Fauna Amateurfunkdiplom unterwegs. Als er im Internet nach einer Ferienwohnung für eine Funkexpedition Ausschau hält, wird er im Ort Zeitlow fündig. Ich vermute, dass sich die Vermieterin sehr gewundert hat, dass da jemand mit Rollstuhl und obendrein noch mit einem Funkgerät aufkreuzen will. »Nein«, sagt Alf Möser, »ich habe ihr alles erklärt, und dann gab es nicht nur den Schlüssel für das Quartier, sondern obendrein noch selbst gebackenen Kuchen. Die Frau ist Mutter eines behinderten Kindes und fand toll, was ich mache.«
Solche Ausflüge mit dem Elektrorollstuhl genießt Alf Möser. Aber auch, wenn er sich mit seinem Rollstuhl nur auf einem Feld bewegen darf, das 26 Meter mal 16 Meter groß ist. Alf Möser hat sich nämlich nicht nur das Funken als Hobby zurückerobert, sondern auch den Sport. Früher spielte er Fußball und nun Elek- tro-Rollstuhl-Hockey. Erste Erfahrungen im Umgang mit Schläger und Ball sammelte er 1992 im Sportverein der Körperbehindertenschule in Neubrandenburg. Er ist Gründungsmitglied der Elektrohockeymannschaft »Nording Bulls«. Die 13 Spieler kommen aus drei Bundesländern. Seit 1993 hat diese Mannschaft an 127 nationalen und internationalen Wettkämpfen teilgenommen. 2014 wird sie zum Bundesligaspiel in Bochum antreten und beim Bucher Turnier in Berlin.
Alf Möser ist Abteilungsleiter, Fachübungsleiter und hat das Logo des Vereins entwickelt. Im Gästebuch auf der Homepage der Nording Bulls wird den Spielern Respekt und Anerkennung gezollt. Nur einer, der seinen Namen verschwiegen hat, teilt im Gästebuch mit, dass diese armen Behinderten von der ganzen Welt ausgelacht werden. Es ist gut so, dass dieser Eintrag nicht gelöscht wurde. Er zeigt auf, dass es immer noch Menschen gibt, die andere Menschen über ihre Einschränkungen definieren und nicht nach ihrem Denken, Fühlen und Handeln beurteilen.
Alf Möser erzählt, dass ihm Kinder, die in einem integrierten Kindergarten aufwachsen, im Gegensatz zu vielen Erwachsenen völlig frei und ohne jegliche Vorbehalte ins Gesicht blicken. Ähnlich wie der Rollstuhlfahrer im Film »Ziemlich beste Freunde« verzichtet Alf Möser liebend gern auf Mitleidsbekundungen. Und es gibt noch eine weitere Parallele zu dieser Filmkomödie und seinem Leben. Auch Alf Möser ist mit einem ehemaligen Pflegehelfer eng befreundet. Sie vertrauen einander und tauschen sich in ihren Gesprächen oft über Musik aus.
Zu den Liedern, die Alf Möser besonders mag, gehört ein Song von Grönemeyer. »Der Mensch heißt Mensch, weil er erinnert, weil er kämpft.« Als er sich die CD 2002 kaufte, ahnte er nicht, dass der damalige Ministerpräsident des Landes Mecklenburg-Vorpommern, Harald Ringstorff, kurz danach genau diese Worte zitieren würde, bevor er Alf Möser die Verdienstmedaille des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland überreichte. In der Begründung hieß es unter anderem: »Sie tragen mit Ihrem Mut und Ihrem Selbstbewusstsein dazu bei, dass andere Menschen ihren Mut und ihr Selbstbewusstsein zurückgewinnen können.«
Wer um diese Werte gerungen hat, weiß, wie wichtig helfende Hände dabei sind. Alf Möser hat seine symbolisch vielen anderen gereicht. Kurz vor dem Ende unseres Gesprächs frage ich ihn, was ihn glücklich macht. »Vieles«, sagt er, »ich hatte eine schöne Kindheit und Jugend. Ich bin Auto gefahren, habe die Tanzschule besucht und Fußball gespielt. Ich weiß, wie sich das alles anfühlt und kann mitempfinden, wenn jemand von Seitenstichen nach einem anstrengenden Lauf berichtet.« Das sind Erfahrungen, die Alf Möser nicht missen möchte. So wie die Erkenntnis, dass durch die eigene Kraft und die Hilfe anderer Unmögliches möglich wurde.
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